PRESSEINFORMATION:
Kein Zuckerschlecken: Kinder mit Diabetes haben es oftmals schwer in Österreichs Schulen und Kindergärten
In der Versorgung unserer jüngsten Diabetiker klaffen rechtliche und gesundheitspolitische Lücken
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) macht auf die speziellen Bedürfnisse von Kindern mit Diabetes aufmerksam und fordert bessere Rahmenbedingungen für sie in Österreichs Schulen und Kindergärten. Dafür benötigen PädagogInnen diabetesspezifisches Wissen und mehr Rechtssicherheit. Zudem wird zusätzliches medizinisches Personal in Schulen und Kindergärten benötigt.
(Wien, 4. September 2017) – Von der Autoimmunkrankheit Diabetes mellitus Typ 1 sind jedes Jahr mehr österreichische Schulkinder betroffen. Derzeit sind es geschätzte 1.500 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren. Jährlich erkranken rund 300 Kinder in Österreich daran, sogar Kinder unter fünf Jahren zählen zu den Betroffenen. Die Zahl der Neuerkrankungen hat sich in den letzten knapp 20 Jahren verdoppelt.
Diese Form des Diabetes beginnt meist im Kindes- oder Jugendalter. Die Ursache liegt in einer mangelhaften Produktion von Insulin in der Bauchspeicheldrüse. Um diesen Mangel auszugleichen, müssen sich die Erkrankten, abhängig von Ihrer Bewegungsintensität und ihrer Nahrungsmittelaufnahme, Insulin verabreichen und mehrfach am Tag ihren Blutzucker messen. Mit Hilfe einer umfassenden Schulung und einer maßgeschneiderten Therapie können sie ein beinahe normales Leben führen.
Eine Kindheit mit Diabetes
Obwohl sich der Alltag von Kindern mit Diabetes beinahe „normal“ gestaltet, benötigen sie laufend die Unterstützung von Erwachsenen. Neben der medizinischen Versorgung ist das vor allem deren Rückhalt, um ihre tägliche Routine rund um die Krankheit zu bewältigen. Die Kinder brauchen auch in Fremdbetreuung kleine Unterstützungen wie Erinnerungen an die Blutzuckermessung und Hilfe bei einfachen Berechnungen rund um die Insulinpumpe oder die Insulingabe mittels Pen und vor allem Verständnis für ihre ganz spezifischen Bedürfnisse.
Alleingelassen im Schulalltag
Für viele Kinder mit Diabetes, ihre Eltern und ihre PädagogInnen beginnen mit dem heutigen Schul- und Kindergartenstart auch wieder eine Reihe von Sorgen, mit denen sie von rechtlicher und gesundheitspolitischer Seite zum größten Teil alleine gelassen werden. „Der Umgang mit chronisch kranken Kindern in Schulen und Kindergärten ist in zu vielen Fällen von Unwissenheit und Hilflosigkeit geprägt“ prangert Prof. Dr. Birgit Rami-Merhar, Leiterin der Diabetesambulanz an der Univ. Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde Wien und Mitglied der ÖDG die derzeitige Situation an.
„Es ist unerlässlich, PädagogInnen diabetologisch zu schulen, um das Diabetesmanagement für die Zeit der Fremdbetreuung ordnungsgemäß durchführen zu können und eine Sicherheit in der Diabetestherapie für die betroffenen Kinder zu gewährleisten. Ziel ist es, Kinder mit Diabetes nicht vom normalen kindlichen Alltag auszuschließen und Fehlzeiten in Kindergarten und Schule kurz zu halten“ appelliert Rami-Merhar, die sich selbst in den letzten Jahren sehr aktiv dafür engagiert hat, die LeiterInnen von Kindergärten der Stadt Wien sowie der Wiener Kinderfreunde zu schulen.
Peter Hopfinger, Gründer der Initiative DIABETES AUSTRIA leistet seit rund 20 Jahren Soforthilfe. Er fasst die Situation in Österreichs Schulen aus seinem Erfahrungsbereich zusammen: „Sie glauben gar nicht, wie viele Fälle von Diskriminierung uns zu Ohren kommen, wenn es um den Schulalltag von Kindern mit Diabetes in Österreich geht. LehrerInnen und Direktion ziehen sich nicht selten auf den Standpunkt zurück, dass ihnen das Eingehen auf die Bedürfnisse dieser chronisch kranken Kinder nicht zugemutet werden kann. Statt sie bestmöglich in den Schulalltag zu integrieren, werden Hürden aufgebaut und die Kinder von Schulausflügen oder Skikursen ausgeschlossen“, berichtet Hopfinger. Er bedauert, dass es keine österreichweiten Regelungen gibt, sondern die Eltern individuell mit den Schulen Abmachungen treffen müssen. So durfte der 6-jährige Mario an seiner Volkschule in Wien nur unter der Bedingung bleiben, dass die Mutter jederzeit bereit ist ihrem Kind beizustehen, was es ihr unmöglich macht ihrem Beruf weiter nachzugehen.
ÖDG und Patienten-Organisationen fordern einheitliche österreichweite Regelungen
"Es kommen immer mehr Kinder mit Diabetes Mellitus Typ 1 in unsere Kindergärten und Schulen - wir brauchen eine koordinierte Vorgehensweise mit klar definierten rechtlichen Rahmenbedingungen", so Rami-Merhar.
Die Forderungen der Patienten-Organisationen sind gleichlautend, bestätigt Hopfinger den Handlungsbedarf der Politik. Als Gründer einer Bürgerinitiative kämpft er seit 2013 um die Aufmerksamkeit der Politik und setzt sich für gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder ein. Die komplexe Problemlage werde seit Jahren zwischen den Bundesministerien für Bildung und dem für Gesundheit hin- und hergeschoben. So werde das Problem der Zuständigkeit und Verantwortung ungelöst auf die unteren Hierarchie-Ebenen abgewälzt und letztlich auf Einzelpersonen abgeschoben, berichtet Hopfinger. Viele Hilfeleistungen werden von Lehrkräften in einem rechtlichen Graubereich erbracht.
Deren Ängsten rund um die Thematik zu begegnen, kann neben Rechtssicherheit nur durch breite Vermittlung von Wissen geschehen: „Die PädagogInnen haben Angst davor, diabeteskranken Kindern Insulin verabreichen zu müssen, dabei geht es vielmehr darum ihnen zu helfen ihre Werte zu kontrollieren. In den meisten Fällen wissen die Kinder dann meist ohnehin selbst, was sie tun müssen“, erläutert Hopfinger.
Mehr Gesundheitsfachkräfte für Schulen
Weiters fehlen Gesundheitsberufe in den Schulen (z.B. Schulkrankenschwestern, Schulassistenzen), wie sie international empfohlen werden und wie sie in den meisten Ländern bereits erfolgreich im Einsatz sind. Die ÖDG fordert, dass Unterstützungsleistungen durch Gesundheits- oder Assistenzberufe für die Ausbildung von Kindern mit Diabetes – falls sie zusätzlich oder vorübergehend erforderlich sind - Kindergärten und Schulen zur Verfügung gestellt werden. Dabei dürfen keine Extrakosten für die Eltern der Betroffenen anfallen.
Austausch und Wissen
Im Rahmen der Diabetes Camps der Österreichischer Diabetiker Vereinigung (ÖDV) in Salzburg wurden teilnehmende Jugendliche interviewt und nahmen auch zur Situation in ihren Schulen Stellung. Vom Desinteresse der Lehrer und deren Einstellung, das Kind soll alleine mit seinem Diabetes zurechtkommen, bis zum Verbot eines Hauptschullehrers, die Notspritze in die Schule mitzunehmen, ist die Rede. Aber auch von unterstützenden Lehrern wird erzählt, die Interesse zeigen und Hilfsbereitschaft signalisieren. Die Diabetes-Beraterin des Camps, DGKS Maria Kreiner, ist auch als Diabetes-Nanny in Tirols Schulen und Kindergärten unterwegs. Sie informiert PädagogInnen über die Krankheit und räumt mit Vorurteilen auf, an Typ 1 Diabetes „selbst schuld“ zu sein. Ihr Publikum sei sehr froh über die Informationen. Viele finden sich in den Konferenzräumen ein, um mehr Wissen über die chronische Krankheit zu erhalten, das sie in den Klassenzimmern, auf Schulveranstaltungen und im Turnsaal gut gebrauchen können.
Durch die fundierte Diabetesschulung der betreuenden PädagogInnen werden Unsicherheiten und Ängste im Umgang mit Kindern mit Diabetes abgebaut und deren Integration in den Schulalltag problemloser. Auch die Teilnahme an Schulausflügen, Sporttagen und Wintersportwochen ist aufgrund der geschulten Betreuungspersonen viel häufiger möglich.
Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG)
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) ist die ärztlich-wissenschaftliche Fachgesellschaft der österreichischen Diabetes-Experten und Diabetes-Expertinnen. Ordentliche Mitglieder der Gesellschaft sind Ärzte und Ärztinnen und wissenschaftlich einschlägig orientierte Akademiker und Akademikerinnen. Assoziierte Mitglieder sind Diabetesberater und Diabetesberaterinnen und Diätologen und Diätologinnen. Die Österreichische Diabetes Gesellschaft sieht es als ihre Aufgabe, die Gesundheit und Lebensqualität von Menschen mit Diabetes mellitus zu verbessern. Sie setzt sich daher für die Anliegen der Betroffenen ein. Sie fordert und fördert die stetige Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus. Sie unterstützt die Forschung und verbreitet wissenschaftliche Erkenntnisse aller den Diabetes berührenden Fachgebiete sowohl zur Verbesserung der medizinischen Betreuung als auch zur bestmöglichen Vorbeugung von Neuerkrankungen.
Informationen über die Aktivitäten der ÖDG finden Sie unter https://www.oedg.at/
Weitere Informationen zu Thema finden Sie unter den folgenden Links:
www.diabetes-austria.com
www.gleicherechtefuerchronischkrankekinder.at
http://www.diabetes.or.at/
http://www.aktive-diabetiker.at/
Rückfragehinweis:
Public Health PR; Mag. Michael Leitner, MAS
Tel.: 01/60 20 530/91 ; Mail: michael.leitner@publichealth.at
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Prof. Dr. Birgit Rami-Merhar, Leiterin der Diabetesambulanz an der Univ. Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde Wien und Mitglied der ÖDG
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Peter Hopfinger, Gründer der Initiative DIABETES AUSTRIA
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